Editorial

Die Erschließung einer großen Altersgruppe

In den vergangenen Jahren hat das Bewegungs- und Freizeitangebot für ältere Menschen immer mehr zugenommen. Der Hauptgrund dafür ist sicherlich, dass Dank der modernen medizinischen Versorgung die Anzahl der alten Menschen immer mehr zunimmt. Nicht nur die Lebenserwartung steigt stetig an, sondern auch die Gesundheit im Alter nimmt zu.

Dank gezielter Förderung des bewussten Umgangs mit der Gesundheit, gibt es immer mehr Menschen, die noch im hohen Alter fit und agil sind und sich weiterhin angemessen körperlich betätigen wollen.

Ich erkannte diese Entwicklung schon früh und denke seit vielen Jahren darüber nach, ein gezieltes Programm analog zum Kids-WingTsun auch für die älteren Menschen zu schaffen. Aus diesem Grunde bat ich den Physiotherapeuten Sifu Samuel Lutz, der in beiden Bereichen über viel Erfahrung im Umgang mit älteren Menschen verfügt, ein solches Konzept auszuarbeiten. Nachdem wir in der Schweiz für interessierte Schulleiter inzwischen zwei Pilotschulungen mit dem Seniorenkonzept durchgeführt haben, begannen bereits einzelne Schulen mit speziellen Unterrichtseinheiten für ältere Menschen und erzielten die ersten Erfolge.

Noch geht es zaghaft voran, weil gewisse Berührungsängste da sind, oder weil viele das Potenzial dieser Altersgruppe noch nicht erkannt haben. Doch ich bin überzeugt, dass die Richtung stimmt und dass wir auf einem guten Weg sind.
 

Unser Seniorenkonzept in der Zukunft

Wie schon erwähnt, wird die Lebenserwartung immer höher und wird wohl auch künftig noch steigen. Gleichzeitig führt leider die zunehmende Technologisierung und Digitalisierung des Alltags dazu, dass sich junge Menschen zunehmend weniger bewegen.  Unser Alltag findet weitestgehend im Sitzen statt. Dadurch verkümmern nicht nur unsere Muskeln, sondern auch unser Körpergefühl und unser Gleichgewichtssinn. Je älter wir werden, desto weniger bewegen wir uns – obwohl genau im Alter, wenn die Knochenstrukturen vielleicht bereits an Widerstandskraft verloren haben, ein ausgezeichneter Gleichgewichtssinn von sehr großer Wichtigkeit wäre. Stürze sind bei 70-bis 100-Jährigen einer der größten Risikofaktoren für plötzliche massive gesundheitliche Einschränkungen und Probleme, deren sekundäre Folgen bis zum Tode des Betroffenen führen können.

Unser WingTsun fördert meiner Meinung nach wie kein anderes Bewegungsangebot Körperwahrnehmung, Bewegungsökonomie, Gleichgewicht, Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeiten. All das sind immens wichtige Voraussetzungen dafür, dass man sich sicher in seinem Umfeld (Stadt, Land, egal wo) bewegen kann und somit, aktiv seinen Lebensabend gestalten kann. Unser Unterrichtsangebot ist einzigartig, und wenn man es adäquat – an die Zielgruppe angepasst –vermittelt, bietet WingTsun fast schon grenzenlose Vorteile. Speziell die klassischen Programme (Formen, ChiSao-Partnerformen) beinhalten – zusätzlich zu den ganzen Vorzügen für den Bewegungsapparat – viel Gutes für das Gehirn. Ich spreche hier nicht nur von Ausgleich der Aktivität der beiden Gehirnhälften. Die Anforderungen bezüglich Konzentration und geteilter Konzentration – z.B. eine Hand macht etwas anderes als die andere – aktivieren das Gehirn und animieren die Nervenzellen immer wieder neue Verknüpfungen zu bilden. Mit anderen Worten: Wir können alle Faktoren, die auch bei sog. Gedächtnistrainings zur Demenzprofilaxe benutzt werden bieten, nur unterrichten wir dies in einer viel interessanteren und bewegteren Atmosphäre.
 

Mit dem Seniorenkonzept ist die EWTO der Zeit voraus

Interessanter Weise nehme ich bei den Kindern eine gegensätzliche Entwicklung wahr. Sogar bei Kinder von gesundheitsbewussten, über die Wichtigkeit von Sport und Bewegung aufgeklärten Eltern, die selbst sportlich sind und diesbezüglich ihrer Vorbildfunktion eigentlich gerecht werden, nehmen die motorischen Fähigkeiten ab. Dieses Feedback bekomme ich jedenfalls von praktisch allen Kids-WingTsun-Ausbildern. Obwohl sich die meisten Kinder mindestens einmal wöchentlich körperlich betätigen, findet eine motorische Verarmung statt. Ein möglicher Grund dafür ist vielleicht die Digitalisierung der übrigen Freizeit. Während Kinder früher täglich Stunden im Wald oder auf dem Spielplatz spielten, dominieren heute leider oft der Fernseher und die Spielekonsolen das Geschehen.

Außerdem stelle ich fest, dass Kindern die Möglichkeit, sich im Grenzbereich der motorischen Fähigkeiten zu bewegen und somit Grenzen zu erweitern, zunehmend genommen wird.

Ein Beispiel:

Früher sah man auf den Spielplätzen Meter hohe Türme und Kletteranlagen mit Stangen und Tauen in allen möglichen Höhen, auf denen die Kinder herumklettern konnten. Wenn ich die modernen Spielplätze anschaue, die heute gebaut werden, ist alles in Bodennähe und auf dem höchsten Sicherheitsstandard. Der Grund dafür ist die Angst, man könnte von den Eltern eines stürzenden Kindes verklagt werden. Klar ist es wichtig, die Kinder zu schützen. Doch es ist ebenso wichtig, die Kinder gezielt in ihren motorischen Fähigkeiten zu fördern. Die Bewegungserfahrung, die die Kinder in ihrer Kindheit machen, ist der Rucksack, der ihnen im Alter das Bewegungsspektrum bietet, um sich vor Stürzen und deren Folgeschäden zu schützen.
 

Es ist nie zu spät…

Mit anderen Worten: Wenn die Entwicklung der motorischen Verarmung voranschreitet, steht uns eine Generation von Senioren bevor, die noch weniger Bewegungserfahrung sammelte und dadurch einer massiven Sturzgefährdung ausgesetzt sein wird. Das klingt jetzt im ersten Moment danach, als würde die EWTO mit dem Seniorenkonzept das therapeutische Konzept für die Senioren der Zukunft entwickeln. Doch das ist weder die Idee noch das Ziel hinter dem Ganzen.

Die EWTO bietet mit ihren Angeboten Menschen aller Altersklassen die Möglichkeit, ihr Selbstbewusstsein, ihre Selbstverteidiungskompetenz und gleichzeitig in hohem Maße ihre motorischen Fähigkeiten, ihre Wahrnehmung und Gesundheit zu verbessern. Dies alles zu vermitteln und den Teilnehmern gleichzeitig zu ermöglichen, dabei Spaß zu haben, dass ist meiner Meinung nach unsere Aufgabe, unsere „Mission“.

Mit dem Seniorenkonzept erschließen wir nach 40 Jahren Erfolgsgeschichte bei den Erwachsenen, einer 10-jährigen Erfolgsgeschichte bei den Kindern noch die weitere große Gesellschaftsgruppe. Damit ermöglichen wir nun auch Menschen in unserer Gesellschaft, im fortgeschrittenen Alter – nach dem Motto: Es ist nie zu spät! – noch mit die Vorzüge unseres WingTsun am eigenen Körper zu erfahren.

Viele Grüße
Euer Giuseppe Schembri