EWTO

Zhong Xin Dao – meine Erfahrungen beim Einführungsseminar

Mit Spannung erwartete ich letztes Jahr ein ganz besonderes Seminar im November in Kiel. Es wurde bereits zu Beginn des Jahres von meinem SiFu Großmeister Kernspecht angekündigte: Zu diesem Seminar käme der Meister einer außergewöhnlichen Kampfkunst. SiFu bezeichnete diesen Meister zunächst als Puppenspieler (Puppetmaster), da er den wahren Namen noch nicht nennen wollte. Ausgesprochen bemerkenswert fand ich, dass SiFu diesen „Puppenspieler“ – neben Professor Tiwald – auch als seinen Mentor bezeichnete.

Meine Erwartungen an den Puppenspieler waren dementsprechend hoch. Mit jedem Tag und dem damit verbundenen Näherkommen des Seminars, wurde ich aufgeregter und neugieriger. Wer konnte der Mensch sein, der mit seinem Wissen und Können selbst SiFu so beeindruckte, dass er ein EWTO-Einführungsseminar für diese Kampfkunst initiierte.

In Gesprächen gab mein SiFu – Großmeister Kernspecht – preis, dass dieser Mann mit einem System in Verbindung zu bringen sei, das sich einst als „Schule der Meister“ bezeichnete und in dem als „Schüler“ nur jemand aufgenommen wurde, der bereits selbst Meister einer Kampfkunst war.

Ich fand das faszinierend und unglaublich zugleich. Ein Meister einer Kampfkunst, der nur Meister von Kampfkünsten aufnimmt. Ich dachte, wenn diese Geschichte stimmt, dann muss dieser Meister über unglaubliches Können und einen riesigen Wissensschatz verfügen – quasi eine Art Personaltrainer für Meister der verschiedensten Kampfkünste.
Von eigenen Nachforschungen über den großen Unbekannten und seine Kunst sah ich ab, weil ich diesen Menschen mit seinem Wissen möglichst neutral und unvoreingenommen kennenlernen wollte.

Als der Tag des Seminars im November schließlich da war, fuhr ich aufgeregt und leicht angespannt los. Während meiner Fahrt nach Kiel zur EWTO-Akademie-Kiel von Sifu Frank Schmalz, wo der Lehrgang stattfinden sollte, konnte ich mir immer noch nicht so recht vorstellen, was auf mich zukommen könnte.

In der Akademie warteten mit mir, vermutlich ebenso gespannt wie ich, zahlreiche weitere meist Höhere Grade auf den Beginn des Seminars. Und dann war es soweit: SiFu, Natalie und der Puppenspieler betraten den Trainingsraum. Endlich lüftete SiFu sein großes Geheimnis. Er stellte uns den Großmeister Sam F.S. Chin alias „der Puppenspieler“ und seinen Sohn Hsin Chin vor.

Ich empfand Großmeister Sam F.S. Chin und seinen Sohn gleich auf den ersten Blick als freundlich und warmherzig. Man konnte spüren, dass SiFu, Natalie, Großmeister Chin und sein Sohn Hsin sich ebenfalls sympathisch fanden. Unter diesen Voraussetzungen entstand sofort eine positive und entspannte Atmosphäre.

Großmeister Chin stellte zunächst einmal sich und seine Kampfkunst Zhong Xin Dao vor. Ich lauschte seinen Worten: Er betrachte seine Kampfkunst als eine Kampfkunst der Achtsamkeit. Die Achtsamkeit sei seiner Meinung nach nur in der Gegenwart zu finden. In der Vergangenheit hätten wir Ereignisse und Erlebnisse, die wir entweder mit positiven oder negativen Emotionen in Verbindung brächten und sie beeinflussten uns dementsprechend in der Gegenwart. Da die Zukunft für niemanden vorhersehbar sei, bräuchten wir ihr auch keine größere Beachtung zu schenken.

Das wahre Erleben sei nur in der Gegenwart möglich. Um wirklich in der Gegenwart sein zu können, müssten Subjekt, Objekt und das Umfeld komplex verbunden sein. Ähnlich dem, wie man einen Baum mit seinen Blättern im Wind ganzheitlich wahrnähme und sich nicht auf einzelne Blätter konzentriere.

Während GM Chin mit seinen Erläuterungen fortfuhr, wurde mir klar, dass Zhong Xin Dao (ZXD) über ein wissenschaftlich begründetes und umfangreiches Wissen verfügt. In meinem Kopf stieg sogar leichte Panik auf: „Wie soll man dieses Wissen erlernen? Kann man WingTsun lernen und gleichzeitig Zhong Xing Dao erlernen? Sind beide Kampfkünste getrennt zu sehen? Oder gehören sie vielleicht in irgendeiner Art und Weise zusammen?

Ich folgte interessiert weiter den Ausführungen von GM Chin. Es ging um Kreise, Energien, Strukturen, Yin und Yang, Dantien, Mingmen, Körperlinien, Öffnen und Schließen, Projizieren, Absorbieren, Soloformen, Partnerübungen usw. usw. Wow! In mir stieg immer stärker der Gedanke daran auf, ob dies alles zu bewältigen sei. Ich empfand ZXD als wahnsinnig anspruchsvoll und herausfordernd.

Dann begann GM Chin schließlich mit einer Übung: Ziehen und Stoßen mit Yin und Yang. Ich sah, wie GM Chin spielend seine Partner zog und stieß. Ich war fasziniert und hoffte, ihn auch einmal fühlen zu können. Als er mich schließlich an die Hand nahm, war meine Freude entsprechend groß. Er umschloss meine Unterarme im Bereich der Handgelenke, zog und stieß mich mit Leichtigkeit durch die Gegend. Für mich war ein Dagegenhalten oder proaktives Zuvorkommen nicht möglich.

Erstaunlich fand ich, so wie ich es auch schon bei SiFu kennengelernt hatte, die Leichtigkeit und Effektivität seiner Handlungen, mit denen er mich ziehend oder drückend durch den Raum bewegte.

Wir machten später noch einige andere Übungen. Wir folgten unter anderem mit unseren Händen den Armen des Partners, während unsere Hände Kontakt zu den Armen des Partners hielten. Ich musste an ChiSao denken.

Es fühlte sich bei GM Chin alles so gut und passend für mich an, dass ich mir in diesem Moment ein WT ohne ZXD nicht mehr vorstellen konnte. Für mich war es wie bei einer Symbiose: Zwei Kampfkünste treffen sich und durch ihr Zusammenkommen könnte etwas Größeres entstehen.

Als ich nach dem Seminar nach Hause fuhr, war ich „geflasht“. Da die Fahrt mehrere Stunden dauerte, hatte ich ausreichend Zeit zum Nachdenken. Die Logik der Erklärungen, die Nachvollziehbarkeit, wie es erklärt wurde, und die Effektivität beflügelten mich. Ich wusste, dass ich mehr davon lernen wollte.

Zu Hause angekommen, erzählte ich alles begeistert meiner Frau Swantje und schürte ihre Neugier Sie war bereits für das Einführungsseminar im Februar angemeldet.

Im Unterricht flossen umgehend neue Erklärungen, Übungen und Betrachtungen ein. Aus dem ChiSao heraus wurde gezogen und gestoßen. Die Armpositionen wurden in oben, unten, seitlich, innen und außen eingeteilt. Es wurde geschlossen und geöffnet. Bekannte Übungen wurden neu betrachtet und interpretiert. Achtsamkeit war von nun an von noch größerer Bedeutung. Sie wurde so gut wie möglich in jede Übung eingebaut.

Ich könnte noch mehr Vorteile erwähnen. Ich merke, wie meine Begeisterung für WT, iWT und Zhong Xin Dao brennt. Und ich freue mich weiter darauf, weil ich merke, dass aus dieser Sache ein großes Ding für die Zukunft wird.

Unser WT-Unterricht war schon immer von Veränderungen geprägt. Jeder Unterricht bei SiFu, jeder Lehrgang und jede/r Schüler/in, der/die von einem Übungsleiter- oder Trainerseminar kam und das erworbene Wissen zeigte, beeinflusste und veränderte unseren Unterricht. Auch Tweets von SiFu wirkten sich auf unser Training aus. Daher bin ich sicher, dass Zhong Xin Dao zu einer positiven Entwicklung führen wird.

Wir freuen uns auf mehr!

Text: Sifu Michael König, 6. MG WingTsun
Fotos: André Walther