Sicherheit

Jugendgewalt kennt keine Bestrafung?! - Teil 2

Wie im ersten Teil dieser Beitragsreihe erwähnt, haben kriminelle Jugendliche die besten Chancen, mit vergleichsweise milden Verurteilungen davonzukommen.

Ab 14 Jahre greift das Jugendstrafrecht, das im Jugendgerichtsgesetz (JGG) geregelt ist. Bis dahin werden die Erziehungsberechtigten vor Familiengerichten zur Verantwortung gezogen. Oft geschieht aber nichts. Weder die Eltern noch die Gerichte ändern etwas an der Situation.

Während in Hamburg straffällig gewordene Kinder (und auch Jugendliche) in Erziehungsheime kommen, versucht man in Berlin in ambulanten Einrichtungen mit diesem Problem umzugehen. „Auch bei den Berliner Jugendämtern sind geschlossene Heime nicht besonders angesehen. ‚Über Zwang ist eine Verhaltensänderung nicht durchsetzbar’, heißt es beim sozialpädagogischen Dienst in Neukölln. Bei den meisten Kindern und Jugendlichen greife das Netz aus ambulanten Beratungs- und Betreuungsangeboten“ so der Tagesspiegel vom 19.01.2005. Doch wer berät, wenn in Berlin und in anderen Städten sämtliche Jugendeinrichtungen in den letzten Jahren aus dem Haushalt gekürzt und damit abgeschafft wurden?

Wie erfolgreich die Berliner Strategie mit minderjährigen Intensivtätern ist, zeigt folgendes Beispiel. Es erzählt von dem heute 18-jährigen Intensivtäter Sawis M., der in einer Hofpause fünf Lehrer der Gustav-Heinemann-Oberschule in Marienfelde zusammengeschlagen und dabei einem Lehrer die Nase gebrochen hatte. Der wegen über 60 Vorfällen polizei-bekannte Schläger bekam daraufhin 20 Monate zur Bewährung. Heute sitzt er wegen schweren Raubes in Untersuchungshaft.

Nun ist es Ermessenssache des Gerichts, ob Sawis M. ein Jugendstrafverfahren bekommt oder aufgrund seines Reifezustandes nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt wird. Bei Ersterem steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Bei Letzterem könnten ihm ein paar Jahre Haft drohen, die er bei guter Führung verkürzen kann.

Insgesamt ist es schwierig, gewalttätige Jugendliche vor Gericht zu bekommen. Nach Übergriffen gegenüber Gleichaltrigen kommt es aus Repressionsangst selten zu Strafanzeigen. Fast jeder lernt im Laufe seines Lebens Schulhofschläger kennen, die Mitschüler terrorisieren. Meistens wird gegen sie gerichtlich nicht vorgegangen. Auch bei Bandenkriminalität (Jugendgangs) in der Nachbarschaft trauen sich die wenigsten aus Angst vor Rache zur Polizei zu gehen. Bei jeder Anzeige werden den Tätern (über den Anwalt) Namen und Wohnort des Zeugen bekannt. Die Dunkelziffer derjenigen, die aus solchen Gründen die Schule verlassen, schlechte Noten nach Hause bringen, sich seltener auf die Straße wagen oder umziehen, ist sicherlich sehr hoch. Die Opferhilfeorganisationen sprechen auch von psychischen und körperlichen Auswirkungen, die Opfer von Gewalt in ihrem Alltag erleben – auch ganz ohne Anwesenheit eines Täters. Traumatisierungen können jahrelang anhalten.
Eigentlich müsste die Situation umgekehrt sein, dass Täter solchen Beschränkungen unterliegen, die aufgrund eines sozialen Drucks bestehen. Das Gegenteil ist der Fall.

Welche Maßnahmen sieht die Rechtsprechung in solchen Fällen vor?

Der Großteil der Straftäter, die wegen Gewaltdelikten auffallen, sind nun einmal Jugendliche.

Es gibt den so genannten Täter-Opfer-Ausgleich (TAO), der eine Begegnung beider Parteien sowie mögliche finanzielle Wiedergutmachung vorsieht und eine präventive Wirkung beim Täter erzeugen soll.

Nach einer Studie aus Schleswig-Holstein ist aber die Rückfallquote bei Jugendlichen trotz TAO mit 42% höher als bei Erwachsenen (27%). Der periodische Sicherheitsbericht des Bundeskriminalamts von 2001 kommt zum Ergebnis, dass TAO von der Sache her in die richtige Richtung geht. Nur wurde in den vergangenen Jahren nur ein geringer Anteil aller verurteilten Jugendlichen (ca. 2-4%) TAO-Wiedergutmachung auferlegt. Doch will jedes Opfer dem Täter später noch einmal gegenüberstehen? In welchen Fällen ist TAO sinnvoll und wann kann es für das Opfer (psychisch) schädlich sein?
In Berlin gibt es seit einigen Jahren bei der Polizei eine Abteilung, die sich mit Jugendbanden beschäftigt und eine große Kartei angelegt hat. Sie versucht, mit Hausbesuchen immer wieder auf das Gesetz hinzuweisen. Trotzdem bleibt Berlin die Stadt mit der bundesweit höchsten Jugendkriminalitätsrate.

Ein guter Ansatz ist es, Lehrer/innen in speziellen Seminaren für Konfliktsituationen zu schulen und im Rahmen von Projekttagen, Schülerinnen und Schülern Deeskalations- und Selbstbehauptungstechniken beizubringen. Ich kenne WT-Lehrer, die solche Kurse erfolgreich durchgeführt haben.

Der beste Opferschutz liegt meines Erachtens aber darin, die direkt Betroffenen zu stärken. Der WT-Unterricht ist offen für Menschen mit Gewalterfahrungen. Auch wenn sie sich selbst so fühlen und gegenüber Mitschülern als Opfer bezeichnen, so sollten sie versuchen, diese Rolle zumindest im Unterricht abzulegen. Der Unterricht dient demzufolge als „geschützter Raum“, in dem sie experimentieren können. Die BlitzDefence-Rollenspiele haben schnell einen therapeutischen Charakter, Erlebtes spielerisch wiederzugeben und anders damit umzugehen. Aber hier ist Vorsicht geboten und gegebenenfalls rechtzeitig aus den Übungen auszusteigen.

„Das klappt bei mir nicht“: Im normalen Unterricht werden erfahrungsgemäss „WT-Erfolge“ von Betroffenen weniger wahrgenommen als Misserfolge. Der WT-Unterricht ist ohnehin bekannt dafür, dass vieles einfach aussieht, aber der Weg zum „Können“ sehr lang ist. Umso wichtiger erscheinen bestandene Prüfungen für ehemalige Opfer als positive Selbstbestätigung – solange sie nicht zum Selbstzweck werden oder in der WT-Schule ein Geist der Urkundenprahlerei entsteht. Soll heißen: Ein wenig Anerkennung schadet nicht.

Fazit

Jugendkriminalität wird hierzulande weniger als Erwachsenendelikte sanktioniert. Erst wenn es um Intensivtäter geht, folgen (wenn auch oftmals halbherzige) Maßnahmen. Der Erziehungsgedanke steht vor der Sanktion. Für Opfer solcher Gewalt ist das wenig ermutigend. Ihre Hilflosigkeit wird dadurch bestärkt, dass aus staatlicher Sicht nur wenig passiert und sie körperlich und psychisch nach innen migrieren. WT bietet beste Möglichkeiten, Schritte aus dem Opferdasein zu finden. Dazu gehört ein sensibler Umgang mit Betroffenen – sowohl durch die Mitschüler als auch die Ausbilder. Was nicht dazugehört, ist eine Sonderrolle innerhalb der WT-Schule als „Opfer“.

Der Autor ist kein Jurist. Alle o.g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr.

Text: Oliver C. Pfannenstiel