WingTsun

Parallelen zwischen Fahrsicherheit und WingTsun

Im November 2006 nahm Sifu Thorsten Elge, 4. TG, an einem Fahrsicherheitstraining des ADAC teil. Von Beginn an fielen ihm die Parallelen zum WingTsun auf.

Richtige Sitzposition

Ein WingTsun-Anfänger lernt zu Beginn die richtige Haltung, z.B. bei der Siu-Nim-Tau im IRAS (Yee Gee Kim Yeung Ma). Ein Motto für die erste Form ist: „Mit dem Kopf den Himmel stützen.“, d.h. man ist aufrecht, mit geradem Rücken – weder nach vorn – noch nach hinten gelehnt.
Das Fahrsicherheitstraining beginnt mit der richtigen Sitzposition. Auch hier soll man aufrecht bzw. gerade sitzen. Entsprechend muss die Rückenlehne eingestellt werden. Dadurch hat man beim Fahren einerseits einen guten Überblick und kann andererseits beim Bremsen entsprechend die Kraft übertragen (dazu später noch mehr).
Viele Autofahrer liegen mehr in ihren Sitzen: Bei einer Vollbremsung drücken sie sich regelrecht selbst aus dem Sitz. Genauso wie jemand der sich bei einem Fauststoß (oder Tritt) selbst wegdrückt, weil er durch die falsche Haltung nicht die Kraft auf den Angreifer übertragen kann.
Die Kopfstütze soll den Kopf stützen, muss also auf Höhe des Kopfes eingestellt werden.

Distanz

Zur richtigen Sitzposition gehört auch der richtige Abstand zum Lenker und den Pedalen. Genauso wie bei einem Zweikampf die Distanz zum Gegner über Sieg und Niederlage entscheiden kann, begünstigt der falsche Sitzabstand eines Fahrzeugführers zu den Pedalen (bzw. Lenkrad) in einer Gefahrensituation einen Unfall.
Sämtliche Teilnehmer „meines“ (Fahrsicherheits-)Kurses saßen zu weit entfernt von den Pedalen (ja auch ich!). Jeder Einzelne staunte von Neuem, dass der Kursleiter auch bei ihm den Sitz ein bisschen weiter nach vorne stellte.
Bei zu großem Abstand kann nämlich nicht genügend Kraft auf das Bremspedal ausgeübt werden. Dazu muss man wissen, dass die Hilfskraft eines Bremskraftverstärkers proportional zur Pedalkraft ist.
Für mich fühlte sich der vom Kursleiter eingestellte Sitzabstand sehr gewöhnungsbedürftig an. Einem Freund, der von berufswegen (er ist Feuerwehrmann – also Fahrer von großen Fahrzeugen, die sich mit großer Geschwindigkeit an Hindernissen vorbei bewegen müssen) an solchen Fahrsicherheitskursen teilnimmt, berichtete ich davon. Er bestätigte mir noch einmal die Wichtigkeit des richtigen Sicherheitsabstands. Auch er staunte nicht schlecht, als er das erste mal sah, dass Porsche-Rennfahrer wie Frösche vor ihrem Lenkrad sitzen. Wer ständig in Bruchteilen einer Sekunde aus Höchstgeschwindigkeiten herunterbremsen muss, weiß, wie viel Kraft (trotz Bremskraftverstärker) dazu erforderlich ist und warum man von MotorSPORT spricht.

Außenspiegel

Nachdem die richtige Sitzposition (bzw. -haltung) gefunden wurde, zeigte uns der Kursleiter, in welchem Winkel der (bzw. die) Außenspiegel eingestellt wird.
Der Spiegel sollte so eingestellt werden, dass noch ein winziges Bisschen vom eigenen Auto gesehen wird. Am einfachsten findet man den richtigen Winkel, wenn eine zweite Person seine Hand auf Höhe des Spiegels an das Heck des Fahrzeugs hält (siehe Foto) und der Spiegel so eingestellt wird, dass die Hand im Spiegel zu erkennen ist.
Überprüfen kann man diese Einstellung wiederum mit einem Partner. Dieser stellt sich hinter das Fahrzeug und geht dann langsam links daran vorbei – wie ein Auto das von links überholt. Sobald der Partner nicht mehr im Spiegel zu erkennen ist, sollte man ihn bereits im eigenen Blickfeld haben. Kein so genannter „toter Winkel“!
Der Kursleiter informierte uns, dass viele einen „toten Winkel“ haben, weil sie in ihr Auto so verliebt sind. Bei denen ist der Spiegel so eingestellt, dass sie zu viel von Ihrem eigenen Wagen sehen.
Mich hat die Einstellung der Außenspiegel wieder an die Siu-Nim-Tau erinnert. Nachdem wir die richtige Haltung eingenommen haben, geht es u.a. um die richtigen Winkel, z.B. beim Gau-Cha-Tan-Sao. Um sich zu schützen, müssen die Ellenbogen entsprechend vom Körper entfernt sein (wie die Außenspiegel beim Auto).
Verdeutlichen lässt sich dies z.B. bei einer Reaktion mit Tan-Sao und Gewichtsverlagerung (bzw. Wendung). Siehe Fotos!

Wartung

Ein einwandfrei gewartetes Fahrzeug wird natürlich vorausgesetzt. Zum Training sollte man auch nicht krank erscheinen und selbstverständlich ist es bei einem Zweikampf von großen Vorteil, körperlich fit zu sein.
Natürlich sollte genügend Kraftstoff im Tank sein, ebenso wie ein Kämpfer noch über ein paar kleine Energiereserven verfügen muss, um kämpfen zu können.

Lenken

Die erste Fahrübung bestand darin, dass uns der Kursleiter mit dem Gelände bzw. der Fahrstrecke vertraut machte. Dabei sollte das Lenken geübt werden.
Beim Lenken sollten die Hände möglichst am Lenkrad (kleben) bleiben. Nach Aussage des Kursleiters ist ein Umgreifen am Lenkrad nur in Ausnahmefällen nötig. Diese Übung erinnerte mich sehr an das Chi-Sao (klebende Arme). 
Aber noch etwas fiel mir auf: Spätestens wenn sich beim Lenken die Arme kreuzen, wird die Lenkbewegung vom obersten Arm dominiert und der untere Arm wird nach oben genommen.
GGM Leung Ting erwähnte in einem Tutorial einmal, dass ein Kreuzen der eigenen Arme vermieden werden sollte, da sonst die Gefahr besteht, gefesselt zu werden. Sind die Arme des Gegners jedoch unter meinen Armen, gilt dieses Motto nicht, da ich den anderen fesseln kann. D.h. auch hier dominiert der oberste Arm bzw. derjenige dessen Arm zu oberst ist.

Schlagbremse

Im WingTsun gibt es das Motto: „The first punch must be a kill.“
Wenn es in einer Selbstverteidigungssituation zum Äußersten kommt, dann kann man keine „halben Sachen“ machen. Ein halbherzig ausgeführter Fauststoß ist leicht zu kontern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zögerlicher Fauststoß einen Angreifer kampfunfähig macht, ist geringer als bei einer entschlossenen Vorwärtsverteidigung.

Hört sich doch erst mal trivial an. Doch wer konnte nicht schon oft (gerade bei Anfängern) etwas anderes beobachten. Da wird z.B. ein Fauststoß erst mal in die Luft geschlagen, bevor dann der zweite endlich die (bewegungslose) Pratze trifft. Also durchaus ein Motto, dessen Umsetzung im Training geübt werden sollte.

Beim Fahrsicherheitstraining spricht man von einer Schlagbremsung, die in einer Gefahrensituation ausgeführt werden sollte. D.h. das Bremspedal soll mit aller Kraft schlagartig durchgetreten werden, um so schnell wie möglich an Geschwindigkeit zu verlieren.

 

Wie schon zuvor erwähnt, ist es für die notwendige Kraftübertragung erforderlich, aufrecht zu sitzen. Die beste Kraftübertragung über das Bein ist bei einem Winkel von 135 Grad – genauso wie bei einem Fauststoß oder Tritt (beim Auftreffen). Dementsprechend sollte also der Sitzabstand zu den Pedalen sein.
Wie bei einem Tritt sollte man über den ganzen Fuß bzw. die Hacke bremsen. Stöckelschuhe sind deshalb zum Autofahren nicht von Vorteil.
Auch bei der Schlagbremsung hätte ich gedacht, dass es doch wohl nicht so schwer sein kann, diese umzusetzen. Was soll denn da geübt werden?
Doch weit gefehlt. Nicht ein Teilnehmer des Fahrsicherheitskurses war in der Lage, konsequent zu bremsen. Viele haben nur zaghaft gebremst oder sind zu frühzeitig von der Bremse gegangen.

Ausweichen von Hindernissen

Für eine weitere Übung in dem Fahrsicherheitskurs besprengte der Kursleiter eine glatte Fahrbahn mit Wasser. Als stehende Hindernisse wurden einige Pylonen aufgestellt.
Die Aufgabe (bzw. Übung) bestand nun darin, mit vorgegebener Geschwindigkeit auf die Pylonen zuzufahren und diesen auszuweichen. Das Bremsen war erst ab einem bestimmten Punkt erlaubt, so dass ein rechtzeitiger Stop vor den Pylonen unmöglich war. Die Geschwindigkeit wurde nach jedem Durchgang gesteigert.
Erkenntnis bei allen Teilnehmern: Je größer die Geschwindigkeit ist, desto schwieriger ist es, die Richtung zu ändern.
Der Leser wird jetzt mit den Achseln zucken. Hätte man sich doch wohl auch vorher denken können?
Trotz ABS unterbrachen jedoch alle Teilnehmer den Bremsvorgang sobald sie einlenkten.
Welche Parallelen gibt es hier zum WingTsun? Das ABS (Anti-Blockier-System) sorgt dafür, dass ein Auto bei einem Bremsvorgang manövrierfähig bleibt, indem in einem hohen Intervall kurz gebremst wird. Das Auto fährt also in sehr kleinen „Schritten“ weiter und wird dabei langsamer.
Ohne ABS ist der Bremsweg bei einer Vollbremsung etwas kürzer. Der Wagen ist jedoch manövrierunfähig und „rutscht“´ in die ursprünglich gefahrene Richtung weiter. Die WingTsun-Schrittarbeit ist sozusagen mit ABS. Viele kleine Schritte ermöglichen uns blitzartige Richtungswechsel. Ein großer Schritt oder gar ein Sprung ähnelt einem Auto ohne ABS bei einer Vollbremsung.

Blick

Man könnte denken, dass es selbstverständlich ist, zum Ziel zu schauen – sowohl bei einem Kampf, als auch beim Auto fahren. Meine Erfahrung ist jedoch, dass viele WingTsun-Anfänger beim Partnertraining auf die Hände sehen. Die Hände sind jedoch nicht das Ziel. Als wir beim Fahrsicherheitstraining das Ausweichen von Hindernissen übten, musste ich mir leider eingestehen, dass ich wie hypnotisiert auf das Hindernis sah, anstatt dorthin, wo ich hin wollte. Verblüffend, was für einen Unterschied es macht, ob man (falsch!) auf das Hindernis schaut, dem man ausweichen möchte, oder in die Richtung, in die man fahren möchte.

Kurvenfahrt

Die letzte Übung bestand darin, eine große Kurve mit möglichst hoher Geschwindigkeit zu fahren. Zumindest mit meinem Auto bzw. mit meinen Sitzen musste ich weniger mit den Armen, als vielmehr mit dem Körper „lenken“. Viel weiß ich zwar noch nicht über den Langstock, aber auch hier bewegt sich eher der Körper als die Arme. Mit den Armen hin und her zu fuchteln, verursacht viel zu große Bewegungen und ist auch sehr viel anstrengender.

Redundante Sicherheit

Sowohl in einem Auto als auch im WingTsun existieren mehrere Sicherheitssysteme, die uns schützen. Beim Auto gibt es die Knautschzone, die Fahrgastzelle, die Airbags, den Sicherheitsgurt, die uns alle zusammen bei einem Unfall schützen.
Auch im WingTsun gibt es immer mehrere Sicherheitssysteme, die uns schützen. Beispiel: Tan-Sao, Wendung (Gewichtsverlagerung), (Konter-)Fauststoß. Der Tan-Sao allein ist evtl. kein ausreichender Schutz vor dem Angriff. Alles zusammen bietet natürlich wesentlich mehr Sicherheit.

Fazit

Ich hoffe, dass meine Zeilen interessante Aspekte aufzeigen konnten. Wenn sie dazu führen, dass sich der Leser ein paar Gedanken zu seiner Sicherheit macht, dann waren sie nicht umsonst.