WingTsun

Schulleiter stellen sich vor: Vico Jarotzki

Dass die mit Schokolade seit 1880 verbundene Stadt Lörrach heute außer Milka, einer lila Kuh und einem Schokofest im Juli auch WingTsun zu bieten hat, zeigt das folgende Interview mit Schulleiter Vico Jarotzki.

Zur Person Vico Jarotzki:

 Alter: 
 46
 Graduierung:  3. TG WT
 Weitere WT-Qualifikationen:               
 Leadership 4, Fachtrainer Kids-WingTsun, Fachtrainer EWTO-
 Gewaltprävention,  BlitzDefence Männer, BlitzDefence Frauen
 Mit WT begonnen:  1994
 Schulleiter seit:

 2004

 WT-Lehrer und SiFu:
 DaiSifu Andreas Groß und DaiSifu Guiseppe Schembri,
 die zwei anderen gibt es nicht mehr
 Ausbildung/Beruf:  Elektriker
 Kinder:
 2
 Hobbys neben dem WT:
 Verschiedene Sportarten, Elektrotechnik-Elektronik
 Eigentlich, wenn ich die Zeit hätte, würde ich noch alles
 Mögliche machen
 Lieblingsfilm:
 Filme, bei denen man nicht einschläft
 Lieblingsmusik:  Ohrwürmer
 Lieblingsbuch:
 Fachliteratur
 Lieblingsspeise:  Alles, was schmeckt.
 Lieblingsurlaubsziel:  Überall dort, wo ich Urlaub mache
 Ein schöner Tag ist für mich, wenn…     
 ich habe immer einen schönen Tag, es sei denn ich wäre krank.
   

Zur WT-Schule:
  

 Größe des Ausbilderteams:                      
 1
 Ort:  Lörrach
 Unterrichtsangebot:        
 WT/Kids/Jugend/Frauengruppe/Escrima
 4/3/2/2/in Arbeit
 Termine pro Woche insgesamt:          
 11
 Anzahl Techniker:  1


Interview:

WTW: Lange vor dem WT hast die viele Jahre in der DDR Ringen als Leistungssport betrieben. Wie hast Du diese Zeit damals wahrgenommen?
Vico: Ich kann nur sagen, dass diese Zeit gut war, wenn man in der ehemaligen DDR Sport getrieben hat. Es war mit das Beste, was man machen konnte. Sicherlich, es wurde nicht mit Samthandschuhen gearbeitet. Man wurde richtig ran genommen, damit noch bessere sportliche Leistungen erzielt werden konnten. Als Sportler diskutierte man nicht über Trainingspläne. Du hattest es zu machen und fertig. Wenn man sich nicht an die Spielregeln hielt, war es vorbei mit dem Leistungssport. Der Trainer war verantwortlich für die Gruppe und für jeden Einzelnen. Es gab Trainingspläne für die Gruppe und auf jeden Einzelnen zugeschnittene Trainingspläne. Es war eben so: Der Trainer sagte, wo es lang geht und nichts anderes. Er war für alles verantwortlich. Er musste auch die Leistungen, von seiner Gruppe bzw. des Einzelnen, seinen Vorgesetzten darlegen und vor ihnen vertreten. Und wenn etwas nicht stimmte, wurde es analysiert, so dass sofort Maßnahmen eingeleitet werden konnten, um die Ursache zu beheben. Auch die Ausbildung zur Trainerlizenz, die ich damals ablegte, war sehr umfangreich, wovon ich heute noch profitiere.
Klar, es war ein Lebensabschnitt, der mich geformt und geprägt hat. Und ich würde diesen Weg wahrscheinlich wieder gehen.

Was konntest Du für Dich vom Ringen mit ins WT nehmen?
Ich denke, so etwas wie Disziplin, Kampfgeist, keine Kontaktängste mit dem Gegenüber, nicht aufzugeben; denn, wenn ich zurückdenke, als ich meine Ausbildung auf dem Schloss bzw. Hauptquartier der EWTO anfing, war es für mich in den ersten Monaten so schrecklich, dass ich dachte, ich lerne es nie. Meine Lehrer hatten mich immer wieder darauf hingewiesen, dass ich meine „Tasse“ erst einmal leeren muss, um sie wieder zu füllen. Es war sehr schwierig für mich, dass ich zunächst alles, was ich gelernt hatte, vergessen sollte: Oh je, die ganzen Griffe, Würfe – alles, auf das ich jahrelang getrimmt worden war.

Was könnte man allgemein vom Ringen für das WT mitnehmen?
Das ist nicht so einfach zu beantworten – auch, wenn ich meine alten Unterlagen vom Ringen durchgehe und die mit den Unterlagen vom WT vergleiche. WT und Ringen sind zwei unterschiedliche Stile (Systeme???), von verschiedenen Kontinenten, aber entwickelt für die Selbstverteidigung. Jedoch, wenn man von den Großen 7 Fähigkeiten im WT spricht, sind diese auch im Ringen zu finden. Allerdings werden sie hier anders geübt. Was beide Stile wiederum gemeinsam haben: Sie wollen den Kontakt mit dem Gegenüber.
Sicherlich könnte man sogar eine wissenschaftliche Arbeit über einen Vergleich beider Stile schreiben. Mit dem Bodenkampf ist es so eine Sache. Sicherlich kann ich Elemente vom Ringen mit hineinbringen, aber ich finde es Quatsch. Nicht jeder kann am Boden die entsprechende Bewegung und gewisse Griffe anwenden.
Ich habe drei verschiedene Methoden im WT kennen gelernt, die sich mit dem Bodenkampf beschäftigen:

1. Bei der ersten dachte ich, ich würde wieder ringen, weil da so viele Elemente vom Ringen
    enthalten waren.
2. Die zweite war schon etwas besser. Aber trotzdem müssten Leute, die mit einem körperlich
    überlegenen Gegner zu tun haben (denn wir haben keine festgelegten Gewichtsklassen auf
    der Straße), auch hier körperlich ziemlich fit sein.
3. Die dritte Methode von Sifu Stefan Crnko halte ich persönlich für die beste. Da sind keine
    Elemente vom Ringen enthalten, die der WT-ler anwenden muss, denn nicht jeder WT-ler
    kann ringen.

Was waren die Gründe, 1994 mit WT anzufangen?
Ich hatte mich schon immer für Selbstverteidigung interessiert. In der ehemaligen DDR gab es in meinem Bekanntenkreis Leute, die sich auch mit dieser Thematik beschäftigten.
Als ich 1989 als Trainer fürs Ringen in die Ecke von Lörrach kam, war ich bereits an dem interessiert, was es außerdem noch gab. 1992 las ich in einer Fachzeitschrift über WT. Daraufhin wurde ich neugierig und bin zu einem Seminar nach Langenzell gefahren.
SiGung Kernspecht schob mich da durch die Gegend und hatte mich geschlagen sowie einige andere Lehrer. Jetzt nicht in die falsche Kehle bekommen! Es wurde auch erklärt, gezeigt und trainiert. Es war für mich wie ein Schock, wie einfach und mit welcher Leichtigkeit man mich außer Gefecht setzen konnte. Und so schwirrte dieser Gedanke vom WT durch meinen Kopf. Ich schaute mich im Landkreis Lörrach um, fand aber keinen der WT unterrichtete.
Ende 1993 fasste ich den Plan, zum Trainieren nach Langenzell aufs Schloss zu gehen. Mein Gedanke war: „Wenn ich es jetzt nicht mache, dann mache ich es nie!“ Es war für mich enorm wichtig, der Sache auf den Grund zu gehen und zu erfahren, wie es möglich war, jemanden so schnell und einfach außer Gefecht zu setzen. Im Mai 1994 war es dann soweit. Ich brach meine Zelte in Lörrach ab und ging für drei Jahre nach Langenzell.

Wie hast Du Deine WT-Schule in Lörrach bekannt gemacht?
Für die Eröffnung verteilte ich Flyer. Doch mein Hauptfokus war und ist die Mundpropaganda. Die Leute werden von Werbung in der Zeitung und im Internet erschlagen und vom Wesentlichen ferngehalten. Jeder neue Zugang durch Mundpropaganda ist eine Bestätigung für mich, dass ich meine Überzeugung und die Philosophie vom WT weitergeben konnte … und das ist es, was für mich zählt.

Gibt es in Lörrach Probleme mit Gewalttätigkeiten? Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Menschen bei Dir mit WT anfangen
?
Die Gewalt ist auch hier im Dreiländereck präsent. Aus diesem Grunde wurde ich bereits von verschiedenen Gruppen zu Projekten eingeladen – manchmal auch in Zusammenarbeit mit der Polizei. Die Projekte gingen über mehrere Wochen bis hin zu einem halben Jahr: Hauptschule in Lörrach, Sozialer Arbeitskreis, Mitarbeiter einer Krankenkasse, …
Die Angst vor Gewalt ist groß. Die meisten kommen wegen der Mundpropaganda und natürlich aus der Angst heraus, ein Opfer zu werden. Nur wenige kommen aus reiner Begeisterung zur Kampfkunst.

Welche Schwierigkeiten gab es anfangs und wie hast Du sie gelöst?
Eigentlich keine.
1. Ich habe die Schule aus reiner Überzeugung und nicht als Einnahmequelle gegründet.
2. Ich hatte bereits eine Handvoll Schüler zum Trainieren.
3. Ich war überzeugt, dass ich auch ohne aktive Werbung, nur durch Mundpropaganda
    wachsen kann … und das bin ich bisher auch.
Ich konzentriere mich rein auf das Training und nicht, wie viele Neuzugänge ich habe. Ich konzentriere mich auf die Schüler, die ich habe und freue mich, wenn diese dann auch die Begeisterung mit mir teilen … und das ist mein Ziel.

Du bist Elektriker. Welche Bezüge kannst Du von Deinem Beruf zum WT herstellen?
Präzision und vorausschauend sein. Wenn man sich nicht daran hält, kriegt man sowohl im WT als auch als Elektriker eine gewischt – und das kann manchmal ziemlich unangenehm und schmerzhaft sein.

Was nimmst Du aus dem Leadership-Programm mit?
Die Leadership-Ausbildung ist eine sehr gute Sache und hat auch viele Parallelen zu meiner damaligen Trainerlizenzausbildung. Auch hier hat man einen Weg gefunden, gemeinsame Richtlinien festzulegen und es somit zu ermöglichen, dass alle an einem Strang ziehen können. Sicherlich sind Theorie und Praxis zwei Paar Stiefel. Man kann sicherlich nicht immer gleich alles eins zu eins umsetzen. Aber es sind viele Themen in dieser Ausbildung, die mich zum Nachdenken anregten bzw. manche Dinge komplett umzustellen. Ich werde immer weiter daran arbeiten.

Wie ist das Verhältnis Männer/Frauen/Kinder in Deiner Schule?
60 % Männer, 10 % Frauen und 30% Kinder. Männer sind grundsätzlich mehr interessiert an Selbstverteidigung als Frauen. Das sieht man schon bei den kleinen Jungs, die Spaß am Raufen haben. Selten sind Mädchen daran beteiligt und das zieht sich bis ins Erwachsenenalter. Frauen besuchen meistens erst dann einen Selbstverteidigungskursus, wenn sie bereits Opfer waren oder es Opfer im Freundeskreis gab … Kinder werden von ihren Eltern zu den Kursen geschickt, da die Gewalt in den Schulen immer größer wird und die Eltern nicht vor Ort sein können, um ihre Kinder zu beschützen. Daher wollen sie die Kinder durch solche Kurse selbstbewusster und sicherer machen.

Welche Übungen kommen am besten an?
Die WT-Anwendungen kommen am besten an, da sich hier die Schüler beweisen können, inwieweit sie in der Lage sind, das Erlernte gezielt und bewusst umzusetzen.

Welche Erfahrungen hast Du mit den ReakTsun-Übungen?
ReakTsun ist eine sehr gute Sache, die SiGung Kernspecht entwickelt hat. Sicherlich ist es nicht ganz einfach, es auf diese Distanz umzusetzen. Man muss intensiv üben. Aber wenn man es beherrscht, ist es ein absolut durchschlagender Erfolg.

Worauf legst Du besonderen Wert im Unterricht?
Auf das Fundament, so wie man es mir beigebracht hat. Ohne eine fundierte Basis kann man nicht erfolgreich seine Kenntnisse aufbauen.

Mit welchen Eigenschaften siehst Du Dich selbst als WT-Lehrer?
Um die richtige Antwort zu bekommen, solltest du diese Frage eher meinen Schülern stellen.

Was bedeutet das Unterrichten für Dich?
Ich sehe es als besondere Aufgabe, meinen Schülern, das, was ich aus dem WT gewonnen habe, weiterzugeben. Der Unterricht ist auch immer wieder eine interessante Herausforderung, die unterschiedlichen Charaktere und Auffassungsgaben doch noch auf einen Nenner zu bringen. Für mich bedeutet Unterrichten die Zusammenfassung von Theorie und Praxis. Ich lebe WT und lasse andere teilhaben.

Was willst Du den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?
WT ist eine geniale Kampfkunst, aber nur so gut, wie man sie beherrscht.

Das Interview führte Sifu Oliver C. Pfannenstiel
Fotos: WT-Schule Lörrach