Editorial

Die ritualisierte Gewalt ist entartet

Es ist wieder passiert. Wieder in München. In der U-Bahn attackierten Jugendliche einen Mann und verletzten ihn schwer.

Was hat er falsch gemacht?

Hat er falsch geguckt, den halbstarken Münchner U-Bahn-Schlägern nicht genug Tribut gezollt? Wahrscheinlich gab es keinen objektiven Grund. Aber den brauchen viele Schläger schon lange nicht mehr.
Wer unser BlitzDefence trainiert, weiß, dass die Eskalationsstufen der Gewalt früher dazu dienten, sich Respekt zu erhalten, den Status quo in der Gruppe gegenüber Eindringlingen zu sichern. Durch jahrtausendealte Instinkte gesteuert, entfuhr es bereits im Mittelalter dem Edelmann: „Was fixiert er mich?“ und er forderte den Frechling zum Duell.
Diese Duelle endeten in den seltensten Fällen tödlich. Tatsächlich dienten sie nur der Wiederherstellung der Ehre. Genau wie noch bis Ende der 70er Jahre der Schubser oder Schlag ins Gesicht, der das Opfer – mit dem ersten Blutstropfen – auf seinen Platz in der Nahrungskette zurückbeförderte. Den Gegner, der trotz aller Rivalität ja ein Vertreter der eigenen Spezies war, zu töten, dafür gab es keinen Grund.
Einen Grund gibt es dafür auch heute noch nicht. Trotzdem geschieht es immer häufiger. Um dem entgegenzusteuern, müssen Jugendliche z.B. Perspektiven und somit auch Alternativen zur „bösen“ Gewalt erhalten und den Ritualkampf, der die Antithese zum Töten ist und damit eigentlich ein „Segen“, neu erlernen.
Seit über 40 Jahren unterrichte ich Selbstverteidigung; seit 20 Jahren beschäftige ich mich eingehend mit der Gewalt unter Männern, dem ritualisierten Territorialkampf. Mein Fachgebiet ist der Unterricht für das vermeintliche Opfer, für den Verteidiger. Diesem zeige ich, wie er Gewalt verhindern oder wenn nötig, diese effektiv beenden kann.
Ich bin kein Psychologe, kein Kriminologe. Die Motive der Täter sind aber meiner Meinung nach vielschichtig. Und ich persönlich bin skeptisch, dass sich das Rad der entarteten Gewalt zurückdrehen lässt. Es wird unaufhaltsam getrieben durch zu Gewalt auffordernde Musik und durch Computer- und Gotcha-Spiele, die ursprünglich von Psychologen erfunden worden sind, um die Tötungshemmschwelle von Soldaten zu senken. Dazu kommen Filme und Videos und (neuerdings sogar in Deutschland zugelassene) Zuschauer-Kampfsportarten, in denen das Treten zum Kopf von Liegenden (!) erlaubt ist.
Wann kapiert man denn endlich, dass es nicht Fauststöße, sondern eben diese Fußtritte zum Kopf des liegenden Opfers sind, die töten?

Was bedeutet das für uns als WingTsunler?

Zuallererst wird uns deutlich, wie essentiell und gleichzeitig banal unser Trainingsziel sein sollte. Die bestandene Prüfung, der Spaß an der Bewegung, die Freundschaft unter Trainingspartnern, das Lernen der neuen Technik – all dies sind Stationen auf einem Weg, der Euch allen hoffentlich Freude bereitet. Aber wer solche Schreckensmeldungen liest, muss wissen: Das Ziel ist immer die erfolgreiche Selbstverteidigung.
Wir trainieren, um Gewalt zu verhindern oder um ihr zumindest nicht zum Opfer zu fallen. Das ist unser Ziel. Diesem müssen wir alles unterordnen. Angefangen bei übertriebenem Traditionalismus, der uns ein Technik-Denken aufzwingt, bis hin zu unserem größten inneren Feind – dem eigenen Ego. Jeder sollte das WingTsun-Training genießen, darf aber nie vergessen: Es liegt nicht an München. Gewalt kann überall sein.

Viele Grüße
Euer SiFu/SiGung