Editorial

Was ist das letzte Ziel des WingTsun? – Teil 1

Wozu machen wir das eigentlich: das Lernen von Formen, ChiSao, LatSao, Umgang mit Waffen, Gewöhnung an Adrenalineffekte usw.?

Wozu das ganze Training? Um die Zeit zu totzuschlagen?
Zweifellos ist das facettenreiche WingTsun eine ausgezeichnete Methode, um seine Zeit zu verbringen und sogar sinnvoll.
70% der Trainingszeit verbringt man in der Gesellschaft mit anderen, man kann körperlich und sprachlich kommunizieren und sich als Teil des anderen fühlen, den man selbst ebenfalls harmonisch ergänzt. Man tut etwas für seinen Körper, seinen Geist, und – man lernt sich und seine Lieben im Notfall zu verteidigen.

Um den Gegner totzuschlagen?
Zu oft liest oder hört man die erschreckende Bemerkung, WingTsun habe nur das eine Ziel, nämlich direkt und ohne Umschweife den Gegner zu „killen“. Damit beschreiben solche armen Leute, egal wie hoch ihr technischer Level sein mag, aber nicht das WingTsun, sondern sich selbst und ihre derzeitig niedrige Bewusstseinsstufe.

Um sich zu verändern!
Auf dem Wege zum letzten Ziel im WingTsun müssen wir etwas in uns kleiner werden, d.h. absterben, lassen. Aber um das zu erklären, muss ich etwas ausholen.
WT ist ein sog. innerer Stil. Bruce Lee nannte ihn in seinem ersten und einzigen Buch die „philosophische Kunst der Selbstverteidigung“. Wer mit taoistischen Systemen wie WingTsun zu tun hat, weiß, dass ihr Schlüsselwort „Transformation“ ist, also Verwandlung.
In der untersten Stufe geht es nur um so etwas Einfaches wie die Verwandlung einer Handtechnik. Wir verwandeln z.B. die standardisierte „Technik“ TanSao in BongSao.
Der Fortgeschrittene lernt dann in der nächsten Stufe, dass man BongSao nicht nur mit dem Arm macht, sondern mit dem ganzen Körper.
Aber nicht genug, tatsächlich wird in der letzten Stufe der WT-Meister im ganzheitlichen Sinne (Körper, Geist, Seele) selbst zu BongSao als fleischgewordenes Symbol des Nachgebens, des Loslassens und des Sich-Entlastens. So kann man davon sprechen, dass es am Ende darum geht, nicht nur eine Handtechnik, nicht nur unseren Körper, sondern uns selbst – ganz und gar – zu verändern.

Wie aber verändert man sich?
Indem man ein anderer wird!

Wie wird man ein anderer?
Indem man anders „handelt“; denn um mit Goethe zu sprechen: „Am Anfang war die Tat!“
Wenn man über einen langen Zeitraum anders „handelt“ und dann auch anders zu „denken“ beginnt und die Welt und die Dinge um uns herum in anderer Weise „sieht“ (= ins Positive „umdenkt“), wird man ein anderer.

Wie sich diese Wandlung bezogen auf WingTsun vollzieht, damit werde ich mich im nächsten Monat befassen.

Viele Grüße
Euer SiFu/SiGung