Editorial

Jürgen Seydel – Sensei ni re!

Der großartige Jürgen Seydel lebt nicht mehr.

Im August verstarb mit 90 Jahren mein Karate-Si-Fu oder richtigerweise -Sensei, Jürgen Seydel, der „Vater des Karate in Deutschland“. Ohne ihn wäre Karate nicht, was es heute ist – und es gäbe möglicherweise nicht den WingTsun-Leung-Ting-Stil in Deutschland.

 

Hier die Geschichte:

Nachdem ich Ende der 1950er Jahre nach Ringen und Judo von Amerikanern Kempo gelernt und, wenn ich mich recht erinnere. den 2. Dan darin erhalten hatte, stieß ich auf drei Büchlein im Längsformat, die mich mächtig beeindruckten. Sie waren von dem Schriftsteller und Dolmetscher Jürgen Seydel und brachten mich zum Shotokan-Karate und zum DKB, dem Deutschen Karate-Bund. In Ermangelung eines existierenden Dojos in meiner Heimatstadt Kiel übte ich aus seinen vorzüglichen Büchern und marschierte den langen, schmalen Korridor der elterlichen Wohnung in der Langen Reihe in Kiel auf und ab in Zenkutsu-Dachi und Oi-Tsuki. In gleicher Weise durchschritt ich auch regelmäßig die Holstenstraße in Kiel, worauf mich viele Jahre später ein fortgeschrittener „echter“ Shotokan-Kyu-Grad (Roland der „Rücken“, Du bist gemeint!), der von dem „verrückten Kieler Karatemann“ gehört hatte, ansprach und von mir Shotokan lernen wollte. Tatsächlich war „Rücken“ der erste Shotokan-Stilist, den ich jemals gesehen hatte. Ich hatte nur aufgrund von Seydels drei Bänden den ersten Karate-Club in Kiel gegründet. Aber so war die Zeit damals.

Jahre später bot der Kieler Akatuki-Verein Karate an. Und was sah ich? Der (Ju-Jutsu-)Trainer hatte Seydels Buch (und das englische von Nishiyama/Okazaki) – während des Unterrichts – vor sich liegen und unterrichtete daraus eins zu eins. Später wurden wir mithilfe von Sensei Werner Popp, einem echten Dan-Träger und Shotokan-Karate-Pionier aus Nürnberg, dann doch noch ein richtiger Shotokan-Club.

Als ich die Karate-Abteilung meines Budo-Zirkels e.V. an meinen Freund Werner abgeben konnte, war ich frei, mich um Thaiboxen, Ling-Lom, Escrima und um mein Ding – WingTsun zu kümmern, das ich zunächst ab 1970 in England bei Master Joseph Cheng studierte, bevor er mich 1975 zum Weiterlernen an meinen jetzigen Si-Fu Leung Ting weiterreichte.

Aber zurück zu Jürgen Seydel:

Von ihm lernte ich auch sonst so einiges. Der DKB hatte den großen Mann nicht so behandelt, wie er es verdiente. Am Ende hatte man den „Vater des Karate“ würdelos zum Ausweisaussteller und Briefmarkenbefeuchter degradiert. Erst viel zu spät wurde den Karateverantwortlichen bewusst, was sie und das Karate dem großen Jürgen Seydel verdankten.

Ich verdanke Jürgen Seydel vielleicht meine Berufswahl zum Dolmetscher, bestimmt aber meine ewige Liebe zur asiatischen Kampfkunst. Wie gerne hätte ich drei Bände wie die seinen fürs WingTsun geschrieben, aber dazu hätte es Seydels beneidenswertes Können als Grafiker bedurft.

Als ich WingTsun in Deutschland organisieren wollte, nannte ich mein Konstrukt zunächst nach dem Vorbild des DKB Deutscher Wing Tsun Bund. Aber dann erinnerte ich mich an Jürgen Seydels Schreiben, in dem er mit seinem eigenen Beispiel davor warnte, einen eingetragenen Verein zu gründen und dann zur Postversandstelle entwürdigt zu werden.

Jürgen Seydel bewahrte mich vor diesem zu idealistischen Schicksal und bewog mich, keinen gemeinnützigen Verein zu gründen, sondern die Europäische WingTsun Organisation.

Das einzige, was ich tief bedaure ist, dass ich meinem Karate-Sensei Jürgen Seydel nie die Hand drücken und Danke sagen konnte.

„Sensei ni re!“

 

Keith R. Kernspecht

 

 

 

 

Wieder in Form

Ich habe den Sommer optimal genutzt, um mich mit täglichem Vier-Stunden-Training in Topform zu bringen. Ich habe mir die letzten Kopfhaare abrasiert, wiege braungebrannte 79,3 kg, drücke 110 kg auf der Bank in Serie und habe mich von einer Trainingsverletzung, die ich mir vor wenigen Monaten durch eine Art „Ringerbrücke mit Gewichtsbelastung“ zuzog, völlig erholt: Die Gleichgewichtsprobleme, die mich noch auf dem Int. Lehrgang in Lobenfeld (von kaum jemand erkannt) beeinträchtigten, existieren zum Glück nicht mehr.