WingTsun

„Die Technik funktioniert“

In Oberhausen sprechen ihn Leute auf der Straße an, auf der Arbeit klopfen sie ihm auf die Schulter. Dabei hat Sifu Lutz Backhaus nur das gemacht, was er trainiert. Und damit einen Amoklauf verhindert.

„Durch sein couragiertes Einschreiten verhinderte der Zeuge vermutlich einen weiteren Angriff auf andere Passanten“, so steht es im Polizeibericht. Der Zeuge ist Lutz Backhaus: Leiter der WingTsun-Schule Oberhausen, 47 Jahre alt, 4. Lehrergrad im WingTsun.
Am Montag, 27. Februar wollte Lutz in der Oberhausener Innenstadt einkaufen. Einen Buddha. Als er aus dem Laden kam, stach wenige Meter entfernt ein geistig verwirrter Mann mit einem Messer zu und verletzte einen Passanten.

Lutz, was ist genau passiert?
Sifu Lutz Backhaus: Ich war mit meiner Freundin Steffi in der Stadt und habe mir in einem Souvenirladen einen Buddha gekauft. Als wir herauskamen, sah ich, wie ein Mann mit einem Messer auf einen älteren Herrn zuging und ihm das Messer von hinten links reingerammt hat – die komplette Klinge. Da war ich aber noch zu weit entfernt, um einzugreifen. Das Opfer hat natürlich geschrien vor Schmerz. Der Täter hat mit dem Messer gefuchtelt und wirres Zeug geschrien: „Das ist Deine Erlösung…“ Daraufhin haben meine Freundin und ich die anderen Leute gewarnt, was auch gut geklappt hat – nur waren wir auf einmal ganz allein mit dem Täter.

Wie ging es weiter?
Der Täter ist in eine kleine Parallelstraße gegangen und hat gerufen: „Ich bin die Rache des Teufels.“ Da wusste ich: „Der macht weiter, wenn den keiner stoppt. Deshalb habe ich ihn genau beobachtet, um die Situation bewerten zu können. Mir ist aufgefallen, dass der Täter auf alles reagierte. Deshalb sagte ich dann zu meiner Freundin, sie solle ihn anbrüllen und ihn so ablenken. Dann haben wir auf den richtigen Moment gewartet. Er hatte das Messer von der rechten in die linke Hand genommen und dann lenkte Steffi ihn ab und ich überwältigte ihn.

Was hast Du genau gemacht?
Dadurch, dass er auf meine Freundin reagierte, stand ich im spitzen Winkel zum Gegner und konnte so die vier Meter zu ihm überbrücken. Außerdem stand er so ungünstig zu mir, dass er sich erst drehen und den Arm strecken musste. Das war ideal für einen Armhebel. Nachdem ich ihn entwaffnet hatte, konnte ich ihn am Boden fixieren. Man merkt, wie gut das WingTsun funktioniert.

Hattest Du Angst?
Nein.

Zu keinem Zeitpunkt?
Als ich startete, um zum Täter zu gelangen, musste ich vier Meter zurücklegen und spürte einen Adrenalinausstoß. Aber als ich Kontakt zum Gegner hatte, war das auch wieder in Ordnung. Und dann lief alles wie im Training. Sogar noch einfacher. Die Techniken liefen wie von selbst.

Wieso hast Du nicht gezögert? Du hättest schwer verletzt werden können.
Für mich war klar: Wenn ich jetzt hier nichts mache, wer soll das sonst machen. Die Schaulustigen, die da waren, waren dazu nicht in der Lage und hätten nicht eingegriffen. Das ist ja auch richtig, wenn man in solchen Situation nicht erfahren ist.

Apropos Erfahrung: Du warst jahrelang Türsteher, hast als Personenschützer gearbeitet. Hat Dir das geholfen?
Tatsächlich habe ich dadurch meine Angst in gefährlichen Situationen verloren. Das war bei den ersten Malen, als ich an der Tür stand, natürlich noch nicht so. Da hatte man Angst. Aber mit den Jahren ließ das nach. Das heißt aber nicht, dass ich unüberlegt arbeite. Ich habe in diesem Fall ja auch 30 Sekunden gewartet. Den Täter beobachtet. Meine Freundin hat ihn dann ja abgelenkt, damit ich ihm nicht frontal begegnen musste und das Risiko so gering wie möglich war. Und da habe ich gedacht: Jetzt oder nie! Und zum Glück hat auch alles so gepasst.

Wurdest Du vorher schon einmal mit einem Messer attackiert?
Ja. Damals konnte ich nur nicht vorher darüber nachdenken, sondern musste sofort reagieren. Ich war als Türsteher im Einsatz und wurde unvermittelt attackiert. Aber auch damals hat das WingTsun mich nicht im Stich gelassen. Vielleicht hat mich das im Hinterstübchen darin bestärkt, auch dieses Mal einzugreifen.

Würdest Du mit Deiner Erfahrung heute irgendetwas im Training ändern?
Ich werde meinen Schwerpunkt in Zukunft mehr auf die Abwehr von bewaffneten Angreifern legen. Die Leute sind heutzutage halt immer öfter bewaffnet. Man hört es doch andauernd: Messerstecherei hier, Messerattacke da. Das wird immer mehr.

Aber es ging in Deinem Fall ja nicht nur um die Technik. Ihr hattet ja eine richtige Taktik und als Team agiert. Übst Du das ab jetzt auch in Deinem Unterricht?
Gerade in so einer Situation, wenn der Gegner psychisch unter Stress steht, sollte man so arbeiten. Ich habe ihn ja vorher getestet. Der reagierte auf jedes Signal. Das sollte man ausnutzen. Natürlich kann man so ein kombiniertes Handeln von zwei Personen auch ins Training einbauen, um dadurch im Ernstfall das Risiko zu verringern.

Und jetzt, wie fühlt man sich als „Held von Oberhausen“?
Eigentlich ganz normal. Ich habe nur das gemacht, was ich immer gelernt habe. Aber jetzt sprechen mich viele Leute auf der Straße an, die den Zeitungsartikel gelesen haben und ich weiß mittlerweile nicht mehr, wie oft ich die Geschichte schon erzählen musste. Die Reaktionen sind aber alle sehr positiv. Auch auf der Arbeit. Jeder will die Story hören. Das ging sogar hoch bis zum Vorstand. Nur zur eigentlichen Arbeit komme ich in diesen Tagen nicht so wirklich viel.

Das Interview führte: André Karkalis
Fotos: WT-Schule Oberhausen