Editorial

Schärfen der Angriffe im WingTsun

Da ich den Monat Oktober für eine Forschungsreise in Sachen Kampfkunst genutzt habe, bat ich zur Entlastung Dr. Oliver König um ein Gasteditorial, in dem es darum geht, wie wichtig richtige und wirkungsvolle Angriffe sind, um einen Gegner angemessen zu stoppen.

Angriffstraining

Das Training der wichtigen Faktoren beim Angriff wird oft unterbewertet. Warum aber ist es wichtig, auch die Angriffsqualität intensiv zu schulen und zu trainieren?

Schon in den ersten zwei Schülerprogrammen lernt der WT-Anfänger die 4 Blitz-Angriffe. Diese sind recht einfach zu erlernen und können sehr effektiv sein, vorausgesetzt, die Qualität des Angriffs ist wirklich gut.
Dazu zählt die Schlagkraft, das ansatzlose Schlagen, das Timing beim Schlag, der Einsatz von Rumpf- und Beinmuskulatur (und nicht nur der Armmuskulatur), die Kraftübertragung etc.
Werden die Blitz-Angriffe schlecht ausgeführt, dann fehlt die Stoppwirkung und der Gegner kann durch diese Aktion noch wütender werden und diese Emotionen führen zu noch stärkeren Angriffen.

Aber nicht nur im Anfängerbereich ist eine gute Qualität des Angriffs wichtig, sondern auch in den fortgeschrittenen Programmen. Im ReakTsun-Programm – um ein Beispiel zu nennen – geht es um die richtigen Reaktionen auf gegnerische Angriffe. Wenn der Partner aber keinen guten Angriff, z.B. Fauststoß, durchführen kann, dann kann auch keine realistische Abwehrreaktion geübt werden. Es entsteht so eine trügerische Sicherheit, denn die falsch geübten Abwehrreaktionen versagen in der Realität bei guten gegnerischen Angriffen.
 

Anmerkung zur Schlagkraft

Der Gedanke, dass Schlagkraft bei der Selbstverteidigung keine Rolle spielt, da ja Punkte angegriffen werden können, bei denen keine Kraft notwendig ist, ist nicht abwegig (z.B. ein Fingerstich in die Augen oder ein Schlag mit der Handkante gegen den Hals).

Das stimmt zum Teil, aber es gibt einige triftige Gründe, trotzdem die Schlagkraft auszubilden.
Ein wichtiger Grund ist, dass z.B. ein Schlag gegen den Hals auch mit einer bestimmten Schlagkraft ausgeführt werden muss, um zum Erfolg zu führen. Die Schlagkraft, die man für einen wirksamem (stoppenden) Schlag seitlich gegen den Hals benötigt, ist von Person zu Person verschieden. So kann ein zu schwach geführter Schlag auch hier zum Misserfolg führen. Manchmal lässt sich auch ein solcher Angriff nicht ausführen, weil an diesen Stellen keine Lücken vorhanden sind.

Ein weiter Grund, das Repertoire so auszuweiten, ist, dass es nicht gleich nötig ist, dem Gegner in der Selbstverteidigung in die Augen zu stechen oder gegen vitale Punkte wie Kehlkopf oder Sinus Caroticus zu schlagen. Die Fähigkeit einer guten Schlagkraft hilft also auch, angepasster zu reagieren.
 

Wie soll die Qualität der Angriffe trainiert werden?

Übungen zur Verbesserung der Angriffsqualität sollten regelmäßig – am besten in jedem Unterricht – durchgeführt werden.

In den Schülerprogrammen haben sich Drills mit Handpratzen, Schlagpolstern etc. sehr gut etabliert. Sie bieten den zusätzlichen Vorteil, dass der Schüler hier abwechslungsreich trainieren kann und gleichzeitig eine sehr gute körperliche Aktivität hat, die seinen Fitnesslevel steigert.

Mittelfristiges Ziel ist der Einsatz des Rumpfes und der größeren Muskeln. Die meisten Anfänger können keine ganzkörperliche Schlagkraft entwickeln. Sie benutzen hauptsächlich ihre Arme. Schon frühzeitig sollte also der Körpereinsatz durch unspezifische Übungen, wie z.B. Ziehen und Drücken, geübt werden. Die Koordination der Schrittarbeit mit dem Schlag und das Timing beim Schlagen sind weitere wichtige Schulungsthemen.


Gasteditorial von Dr. Oliver König