WingTsun

Mit WingTsun-Prinzipien Zielkonflikte optimal lösen, Teil 3

Heute wollen wir uns mit dem Phänomen der speziellen WingTsun-Kraft beschäftigen. Diese flexible Kraft, der mitunter übernormale Fähigkeiten unterstellt werden, stellt sich erst nach Jahren intensiven Übens ein. Sie ist deswegen so berüchtigt, da beispielsweise mit ihr gegebene Kettenfausstöße enorme Wirkungen beim Angreifer erzeugen. Wie kommt diese Kraft zustande, wie kann sie trainiert werden?

Um zu verstehen, was im WingTsun passiert, schauen wir uns am besten zunächst zwei typische Anfänger-Schüler an. Der eine ist sportlich robust gebaut. Vielleicht hat er Kraftsportarten oder Bodybuilding gemacht. Er sieht stark aus und hat einen erhöhten Muskeltonus. Er ist der typische Schüler, dem wir im WingTsun-Training zunächst das, was wir Weichheit nennen, vermitteln müssen. Kraft hat er genug. Aber im Chi-Sao macht ihm der hohe Spannungszustand erhebliche Probleme. Er ist steif und kann nicht nachgeben. Das genaue Gegenteil ist der eher schwächlich gebaute, zierliche Schüler. Er verfügt nur über ein Mindestmaß an Kraft, ist aber aufgrund seines geringen Muskeltonus erstaunlich nachgiebig. Die Weichheit im Chi-Sao zu erreichen, ist nicht sein Problem. Ihm fehlt es eher an Vorwärtsspannung und Schlagkraft.

Welche Eigenschaften der Kraft streben wir im WingTsun an? Wir benötigen muskuläre Flexibilität, um zu starker Kraft des Gegners nachgeben zu können, bei gleichzeitig maximal möglicher Kraftentfaltung. Der WingTsun-Schüler trainiert also so, dass er die beiden nachteiligen Muskeleigenschaften Verspannung und Schwäche minimiert und die beiden positiven Eigenschaften Kraft und Flexibilität maximiert.

Insoweit kann man im WingTsun nicht von einer Benachteiligung einer der beiden typischen Anfängergruppen sprechen. Die Gruppe der Starken, aber Verspannten muss die Unnachgiebigkeit der Muskeln wegtrainieren. Oft haben diese Schüler auch große Schwierigkeiten, überhaupt in bestimmte Positionen zu kommen. Sie haben lange Zeit Mühe, den ersten Kraftsatz zu erfüllen. Für sie wird das Chi-Sao doppelt schwer, da sie Spannung aufbauen müssen, um überhaupt die exakten Positionen zu erreichen, während sie gleichzeitig flexibel auf den Druck des Übungspartners reagieren sollen.

Die Gruppe der Schwächeren, aber Weichen hat all diese Probleme nicht. Dafür haben diese Schüler gerade im Anfangsstadium des WingTsun oft Frusterlebnisse, wenn sie mit Vertretern der ersten Gruppe trainieren, da sie noch nicht die Technik und das Gefühl besitzen, sich nicht mit der Kaft des Übungspartners messen zu können. Wir dürfen nicht vergessen: Bei gleicher Technik siegt die überlegene Kraft. Die Kraft verliert nur an Bedeutung, wenn überlegene WingTsun-Technik eingesetzt werden kann, also eigentlich gegen Nicht-WingTsun-ler. Dies kommt im Training aber meist nicht vor, da normalerweise Schüler auf einem ähnlichen Ausbildungsstand miteinander trainieren.

Optimalerweise trainieren Schüler dieser beiden Gruppen zusammen, um im Chi-Sao voneinander die jeweils positive Eigenschaft des Partners zu spüren und für sich zu verinnerlichen.

So entsteht als Synthese im WingTsun-Training durch die Zusammenführung der jeweils positiven Eigenschaften der Extrempole die typische WingTsun-Kraft.