WingTsun

In zwei Jahren durchs waffenlose WingTsun – Dai-Sifu Giuseppe Schembri im Gespräch mit der WTW-Redaktion

Eine Woche lang war GGM Leung Ting zu Gast auf Schloss Langenzell und setzte seine privaten Tutorials fort, die er auf Anregung seines Meisterschülers GM Keith R. Kernspecht 2001 ins Leben gerufen hatte. Einer, der seitdem kein Tutorial ausgelassen hat, ist Dai-Sifu Giuseppe Schembri, 6. PG und Cheftrainer für die Schweiz und Liechtenstein. Markus Senft sprach mit Dai-Sifu Schembri über seine Motivation auch bereits besuchte Tutorials zu wiederholen und seine Eindrücke nach zwei Jahren Kleingruppenunterricht mit GGM Leung Ting.

WTW: Sifu Giuseppe, wie viele Tutorials von GGM Leung Ting hast du bisher besucht?

G. Schembri: Die ersten Tutorials fanden im September 2001 statt. Das genaue Datum werde ich deswegen nie vergessen, weil wir während des Unterrichts plötzlich die Nachricht vom Anschlag auf das World Trade Center bekamen. Das war eine völlig surreale Situation.

Auf jeden Fall habe ich seitdem alle Tutorials besucht, die GGM Leung Ting angeboten hatte. Bis auf zwei Veranstaltungen in Kiel, an denen konnte ich leider nicht teilnehmen, weil die lange Anreise meinen Terminplan gesprengt hätte.

WTW: Wenn wir das mal kurz überschlagen, kommen wir mindestens auf 15 Tutorials!

G. Schembri: Ja, so viele waren es bestimmt, denn einige wurden bereits wiederholt.

GGM Leung Ting hat seine privaten Tutorials entsprechend dem von ihm entwickelten Unterrichtssystem aufgebaut. Von Siu Nim Tau, Cham Kiu und Biu Tze zur Holzpuppe und danach die Waffenprogramme Langstock und Doppelmesser. Zur Form kommen jeweils noch Chi-Sao-Sektionen und/oder Anwendungen.

In den vergangenen zwei Jahren hat GGM Leung Ting alle Programme bis hin zur Holzpuppe durchgearbeitet und somit das waffenlose WingTsun im Großen und Ganzen abgeschlossen. Nächstes Jahr will er voraussichtlich die ersten Tutorials zu den Waffen anbieten.

WTW: Du hast also manche Tutorials sogar zwei Mal besucht. Wird das nicht ein bisschen langweilig?

G. Schembri: Auf gar keinen Fall! Ganz im Gegenteil: Von Mal zu Mal wird es interessanter. Nicht, weil GGM Leung Ting bei jedem Tutorial etwas ganz anderes zeigen würde. Aber er hat dort die Möglichkeit, viel individueller zu korrigieren. Dadurch wird das Verständnis für etliche Details viel größer. Vor allem, wenn man als Meister den Gesamtüberblick über das System hat, sieht man manches aus einer ganz anderen Perspektive.

GGM Leung Ting bietet während der Tutorials eine riesige Fülle von Informationen, die natürlich zahlreiche Fragen aufwerfen. Durch seine Antworten werden weitere Einzelheiten, Hintergründe und Puzzleteile offensichtlich. So kristallisiert sich immer deutlicher das geniale Gesamtkonzept des WingTsun heraus.

Von den theoretischen Ausführungen abgesehen, ist es mir ein Genuss zu sehen, wie er sich bewegt. Durch das ständige Beobachten kann ich ebenfalls sehr viel lernen. Wie kein zweiter setzt GGM Leung Ting die Prinzipien des WingTsun in Bewegung um. Völlig frei von starren Bewegungsmustern, immer der jeweiligen Situation angepasst.

Und last but not least halte ich es für mich als Lehrer notwendig, mich selbst stetig weiterzubilden, um auch hierin meinen Schülern ein gutes Beispiel zu geben.

WTW: Das sind lobenswerte Ansichten, aber irgendwann muss man das System doch gelernt haben?

G. Schembri: Klar, aber man kann immer noch etwas dazu lernen. Ich sehe das als große Bereicherung, immer wieder etwas dazu lernen zu können, immer auch Schüler zu sein.

Ich möchte die Möglichkeit der persönlichen Korrektur durch den Großmeister so lange und so oft wie möglich nutzen.

WTW: Kann man WingTsun auch ohne Tutorials lernen?

G. Schembri: Natürlich! Wenn man einen guten Ausbilder hat. Außerdem kann man an zahlreichen Lehrgängen der Großmeister oder Meister teilnehmen. Es können ja gar nicht alle an Tutorials teilnehmen, aber es ist eine unglaubliche Bereicherung, dass die Möglichkeit besteht, so intensiv von der Quelle lernen zu können.

Für mich und meine Schüler ist es wichtig, immer „up to date" zu sein. Denn WingTsun wird immer weiterentwickelt.

WTW: Heißt das, dass auch neue Prinzipien dazu kommen können?

G. Schembri: Nein, die Prinzipien ändern sich nicht, sondern die Erfahrung. Weil man immer mehr versteht, wird das WingTsun immer lebendiger. Aber trotzdem ist weniger immer mehr. Es gibt nur ganz wenige Prinzipien, denn WT ist so einfach wie möglich. Das kann man aber erst nach einer gewissen Zeit verstehen. Auch etwas, was GGM Leung Ting während seiner Tutorials immer wieder betont.

WTW: Das sind doch aber ziemliche Zusatzkosten, wenn man neben der normalen WT-Ausbildung auch noch die Tutorials besuchen will.

G. Schembri: Ich habe in der ganzen Zeit, während der ich WingTsun lernen, noch nie an die Kosten gedacht. Ich mache das doch freiwillig! Keiner zwingt mich, WingTsun zu lernen. Ich schöpfe aus der lebenslangen Erfahrung von GGM Leung Ting. Während der Tutorials besonders intensiv. Das steht für mich im Vordergrund. Nicht das Geld.

WTW: Glaubst du, dass es eine Möglichkeit gibt, WingTsun schneller zu lernen?

G. Schembri: Es ist nicht besonders schwer oder zeitintensiv, alle Techniken oder Programme weiterzugeben. Das Unterrichtsprogramm ist doch nur ein Hilfsmittel, um einen von hier nach dort zu bringen. Aber die Prinzipen und das Konzept des WingTsun umsetzen zu können, das dauert seine Zeit. Die kann man nicht abkürzen.

Ich mache WingTsun vor allem, weil es mir Spaß macht, selbst zu lernen und mein Wissen weiterzugeben. Mir ist es in 25 Jahren mit WT nicht einmal langweilig geworden. Es ist mir nicht wichtig, besser als andere zu werden, sondern mich selbst weiterzuentwickeln.

Mein Weg ist WingTsun. Ich hätte auch irgendeinen anderen einschlagen können. Für mich ist WT der Weg, weil ich intensiv mit so vielen verschiedenen Leuten zu tun habe. Aber das ist nur meine persönliche Einstellung.

WTW: Sifu Giuseppe, vielen Dank für dieses Gespräch.